Kleine Geschichte vom Klebeband

Klebeband

Meinen ersten Kontakt mit Klebeband hatte ich in Hamburg. Hamburg ist wichtig für die Geschichte des praktischen Büroartikels, aber die Gemeinsamkeit basiert auf reinem Zufall und ist meiner Biografie geschuldet. Ich fand als Steppke interessant, dass das Klebeband meinen Fingerabdruck festhielt und habe sicher meine Eltern in die Verzweiflung getrieben, da die TESA-Rolle bei uns zuhause häufig unauffindbar oder eben leer war. TESA, ein Begriff, der sich einprägte und ganz ohne Band auskam, da wußte jeder, was gemeint war. Fast wie Tempo oder andere Markennamen, die sich in den Sprachgebrauch eingeprägt haben. Über die Ursprünge habe ich mir damals, Anfang der 70er, als kleiner Hamburger wenig Gedanken gemacht, meine Eltern sorgten ja immer wieder für Nachschub.

Hamburg, die Wiege des Klebebandes

Der Ursprung des Klebebandes liegt nämlich in Hamburg und nimmt seinen Umweg über das Pflaster. Nicht den Pflasterstein, sondern die Wundversorgung. Ende des 19. Jahrhunderts meldete der Apotheker Paul Carl Beiersdorf an der Alster ein von ihm entwickeltes Herstellungsverfahren für Wundpflaster zum Patent an. Beiersdorf richtete ein Labor in seiner Apotheke ein und stellte auf Grundlage seines Patents Heilpflaster aus der Masse des Guttaperchabaumes her.  Der Pharmazeut hatte schnell großen Erfolg und verlegte sich ganz auf die Produktion der Pflaster. Im benachbarten Altona, heute ist das ein Stadtteil Hamburgs, gründete er eine kleine Fabrik, in der schon bald elf Mitarbeiter werkelten. Nach einem schweren Schicksalsschlag verkaufte Beiersdorf das Unternehmen an den  erst 27-jährigen Apotheker Dr. Oscar Troplowitz. Der Firmenname Beiersdorf blieb bestehen.

Es sollte noch etwa dauern, ehe die Kinderkrankheiten der neuen Erfindung beseitigt waren. Die von ihm entwickelte Wundpflaster hafteten hervorragend, doch reizte sie auch die Haut. Beim Abziehen, so behaupteten dieKritiker, würde die Haut mit heruntergerissen. Ein paar Jahre später wurde das  Superklebeband einem neuen Einsatzgebiet zugeführt: es sollte jetzt löchrige Fahrradreifen abdichten. Das „Cito Sport-Heftpflaster“ wurde das weltweit erste technische Klebeband. Groß nachgefragt wurde es allerdings nicht. Erst mit der Entwicklung des Klebeverbandes Leukoplast gab es  1901 schließlich einen ersten großer Erfolg: Das Rollenpflaster aus Viskosefasergewebe gilt heute als eine frühe Form des Gewebeklebebandes.

Kreppklebeband für Detroit

Kleine Geschichte vom Klebeband 1

Troplowitzs erste Geh- oder besser gesagt Klebeversuche wurden erst über 20 Jahre später jenseits des Atlantiks wieder aufgegriffen. 1923 ließ das US-amerikanische Unternehmen 3M, das damals Schleifpapiere erzeugte, sein neues, wasserfestes „Wet or dry“-Sandpapier in der Automobilproduktion ausprobieren. Bei dieser Gelegenheit wurden 3M-Mitarbeiter die Probleme der Fabrikanten mit der damals neuen, aber schon überaus populären Zweifarblackierung gewahr. Es fehlte an einer geeigneten Abdeckung für bereits fertiggestellte Teile, die beim Auftrag der Zweitfarbe einen sauberen Farbübergang gewährleisten würde.

Richard Gurley Drew, zum Zeitpunkt seiner großen Entdeckung im gleichen Alter wie damals Troplowitz – nämlich 26 Jahre und Ingenieur bei 3M, experimentierte in der Folge zwei Jahre lang mit pflanzlichen Ölen, Harzen und Gummi. Das Ergebnis seiner Forschungen war 1925 ein fünf Zentimeter breites Abdeckband aus Krepppapier. Im ersten Test fiel es durch, weil es schlecht haftete, der Erfolg ließ daher auf sich warten. Der frustrierter Lackierer schimpfte „Take this tape back to those Scotch bosses of yours and tell them to put more adhesive on it!“ – zu Deutsch: „Bringen Sie das Klebeband zurück zu Ihren schottischen Chefs und sagen Sie ihnen, sie sollen mehr Kleber auftragen!“.

Das Schimpfwort hatte sich nicht auf die Herkunft von Drews Chefs bezogen, sondern auf den geizigen Auftrag des Klebemittels. Drew optimierte daraufhin sein Abdeckband, indem er das Trägermaterial vollflächig und nicht nur am Rand wie zuvor mit Klebstoff beschichtete – das Kreppklebeband war erfunden. Bei der Namensfindung griff er auf den Ausruf des Lackierers zurück – „Scotch Masking Tape“ war geboren. Musteraussendungen an die Automobilhersteller in Detroit brachten 3M volle Auftragsbücher.

Das Klebeband wird transparent

Mit dem großen Erfolg konnte Drew so richtig loslegen: Fünf Jahre später, am 27. Mai 1930, erhielt Drew das Patent für das weltweit erste transparente Klebeband, das “Scotch Cellulose Tape“. Es diente als Verschluss von Zellophan-Verpackungen, die insbesondere in Bäckereien, Metzgereien und dem Lebensmittelhandel eingesetzt wurden. Doch die einsetzende wirtschaftliche Depression in den USA verhalf dem Klebeband zu ungeahntem Erfolg. Das Scotch machte seinem Namen alle Ehren und wurde zum Soínnbild der Sparsamkeit, indem man das Band für alle möglichen Kleinreparaturen nutzte. Ich habe das selst einmal in England gesehen, wo ein zerborstenes Fenster durch Sellotape von Scotch abgedichtet worden war. Mit der Entwicklung des Abrollgerätes und eingebauter Klinge fand sich das durchsichtige Klebeband bald in jedem Haushalt der USA.

Auch in Deutschland wird weiter an Klebebändern geforscht. 1934 bewirbt sich der 25-jährige Industriekaufmann Hugo Kirchberg bei der P. Beiersdorf & Co. AG in Hamburg und überzeugt den Vorstand von seiner Vision eines Klebebandes für das Büroumfeld. Auf Grundlage des bis dato bedeutungslosen Klebebands von 1896 entwickelte Kirchberg ein transparentes Band, das im Januar 1935 als „Beiersdorfs Kautschuk-Klebefilm“ in den Handel gelangt. Trotz geringer Nachfrage glaubt Kirchberg weiterhin an den Erfolg seiner Idee. Mit dem Patent auf einen von ihm entwickelten „Behälter für mit Trockenklebstoff versehene Klebestreifenrollen“ soll der Verbraucher durch die vereinfachte Bandspende von dem Klebeband überzeugt werden.

Auf der Suche nach einem einprägsamen Markennamen wählt er aus dem Beiersdorf-Fundus geschützter Bezeichnungen den bislang ungenutzten Begriff „TESA“. Das Kunstwort war bereits aus einem 1906 durchgeführten Markennamenwettbewerb hervorgegangen. Die Beiersdorf-Mitarbeiterin Elsa Tesmer hatte die Wortschöpfung aus der ersten Silbe ihres Nachnamens (Tesmer) sowie der letzten Silbe ihres Vornamens (Elsa) zusammengefügt.  „TESA“ war bereits Markenname einer patentierten Zahnpastatube (1908) sowie einer neuartigen Wurstpelle (1926) gewesen, jedes Mal ohne Misserfolg.

Groß blieb die Skepsis des Beiersdorf-Vorstands, doch Kirchberg ließ nicht locker: Er vermarktete sein Klebeband ab dem 11. Mai 1936 als „TESA-Klebefilm“ (ab 1941 nur „Tesafilm“) „zum Kleben, Flicken, Basteln“. Auf Anhieb wurde das Produkt zum absoluten Verkaufsschlager, auch dank geschickter Werbeideen. Kirchberg ruhte sich nicht auf seinem Erfolg aus, sondern versuchte, seinen Tesafilm zu verbessern. Das 1934 von ihm entwickelte Klebeband bestand aus einem mit Naturkautschukkleber beschichteten Filmträger aus Zellglas (Zellulosehydrat). Dieser war spröde und wasserempfindlich, es vergilbte recht schnell. Heutige Exponate sind fast schwarz. Man ersetzte das Zellglas zunächst durch Zelluloseacetat, in den 60er Jahren wurde dieses wiederum durch Hart-PVC ausgetauscht. Zudem wich der zuvor verwendete Naturkautschukkleber 1960 dem bis heute eingesetzten Acrylatkleber. Seit den 80er Jahren wird Polypropylen als Folienträger des Tesafilms eingesetzt.

Kein Weihnachten ohne Klebeband

Geschichte vom Klebeband

Die Mitte der 1930er Jahre einsetzende Erfolgsgeschichte der Scotch- und Tesa-Klebebänder setzte sich weltweit fort und spiegelt sich heute in einer Vielzahl verschiedenster Klebebandtypen wieder. Ob transparent oder farbig, reißfest oder dehnbar, ein- oder doppelseitig klebend, faserverstärkt, UV-stabil, hitze- oder kältebeständig, wasserfest oder säureresistent – Klebebänder sind für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche und Anwendungszwecke erhältlich. Kurz vor Weihnachten schaut doch jeder bei sich zuhause, ob er nicht mindestens eine Rolle Tesa hat. Denn Geschenke ohne Geschenkpapier und ohne Tesa, das geht gar nicht.

Jens Keller